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Autor: Paul Keller
Gemäß Artikel 26 der Urheberrechts-Richtlinie über den digitalen Binnenmarkt haben die Mitgliedstaaten bis zum 7. Juni 2021 Zeit, die Bestimmungen der Richtlinie in ihre nationalen Gesetze umzusetzen. Das wird also in etwas mehr als sechs Monaten soweit sein, daher ist es an der Zeit, eine Bestandsaufnahme zum Stand der Umsetzung in verschiedenen Mitgliedstaaten vorzunehmen.
Bisher hat kein einziger EU-Mitgliedstaat die Bestimmungen der Richtlinie vollständig umgesetzt, und nur zwei Mitgliedstaaten haben Teile davon umgesetzt (2019 hatte Frankreich das neue Leistungsschutzrecht für Presseverleger umgesetzt und im Juni diesen Jahres hat Ungarn die Ausnahme für Online-Bildung eingeführt). In den meisten EU-Mitgliedstaaten müssen die Durchführungsvorschriften noch im Parlament vorgestellt werden. In der Zwischenzeit arbeitet die Europäische Kommission noch an den Umsetzungsleitlinien für Artikel 17, die veröffentlicht werden müssen, und der Antrag der polnischen Regierung auf Aufhebung von Teilen von Artikel 17 wird derzeit noch vor dem Europäischen Gerichtshof verhandelt (der Generalanwalt wird seine Stellungnahme am 22. April 2021, weniger als zwei Monate vor Ablauf der Umsetzungsfrist, veröffentlichen). Insgesamt erscheint es zunehmend unwahrscheinlich, dass die Mehrheit der Mitgliedstaaten die Richtlinie rechtzeitig umsetzen wird. Schauen wir uns daher genauer an, wie weit der Umsetzungsprozess in den wichtigsten Mitgliedstaaten gekommen ist.
Leitlinien der Kommission
Die Europäische Kommission hat ihre Konsultation bezogen auf die Umsetzungsleitlinien im September abgeschlossen und arbeitet derzeit an einer endgültigen Fassung ihrer Leitlinien, die voraussichtlich nicht vor Anfang des kommenden Jahres angenommen wird. Die Kommission hat deutlich gemacht, dass sie nicht davon ausgeht, dass sich Schlüsselelemente der Leitlinien wesentlich von ihrem früheren Entwurf abheben werden, in dem die Verwendung automatisierter Filter einschränkt werden soll und verlangt wurde, dass Benutzer-Uploads verfügbar bleiben, auch wenn sie umstritten sind. Die Kommission ist nicht bereit, sich dem erheblichen Druck einiger Mitgliedstaaten und der Rechteverwerter zu beugen, Schlüsselelemente des Richtlinienentwurfs zu ändern.
Während der jüngsten Anhörung des EuGH zur Klage Polens, wichtige Teile des Artikels 17 aufzuheben, argumentierte die Kommission, dass Artikel 17 Grundrechte der Nutzer*innen nicht verletzt, gerade weil die Mitgliedstaaten strenge Schutzmaßnahmen treffen müssen, die den Einsatz automatisierter Filter einschränken und die Uploads der Nutzer*innen schützen müssen, so lange sie umstritten sind. Die Tatsache, dass die Kommission ihre rechtlichen Argumente im Fall des EuGH auf den in den Leitlinien zum Ausdruck gebrachten Grundsätzen aufbaut, wird es sehr schwierig machen, diese Grundsätze auch angesichts des enormen Drucks der Rechteinhaber und einiger Mitgliedstaaten aufzugeben.
Die zunehmende Verzögerung der Leitlinien der Kommission hat bereits einige Mitgliedstaaten veranlasst, ihre Arbeit an der Umsetzung der Richtlinie einzustellen. Sowohl Ungarn als auch Schweden haben den Interessengruppen kürzlich mitgeteilt, dass sie auf die Leitlinien der Kommission warten werden, bevor sie ihre Umsetzungsgesetze offiziell einführen, und es ist wahrscheinlich, dass eine Reihe anderer Mitgliedstaaten denselben Ansatz verfolgen. Infolgedessen gibt es nur drei Mitgliedstaaten (Frankreich, Niederlande und Kroatien), die in verschiedenen Phasen der Annahme Durchführungsvorschriften angelangt sind.
Frankreich
Als einer der wichtigsten Befürworter der Richtlinie hatte Frankreich ein Interesse an einer raschen Umsetzung der Richtlinie. Dies führte bereits im Oktober letzten Jahres zur Umsetzung von Artikel 15 (dem neuen Leistungsschutzrecht für Presseverlegers).
Um die Umsetzung der verbleibenden Bestimmungen zu beschleunigen, hat die französische Regierung beschlossen, sie in ein Genehmigungsgesetz aufzunehmen, das es der Regierung ermöglicht, sie per Verwaltungsverordnung umzusetzen. Dieses „Gesetz über verschiedene Bestimmungen zur Anpassung an das EU-Recht in Wirtschafts- und Finanzfragen“ (DDADUE-Gesetz) wurde am 18. November 2020 von beiden Kammern des französischen Parlaments verabschiedet und wartet nun auf die Veröffentlichung im Amtsblatt
Das DDADUE-Gesetz gibt dem französischen Regierungsrat Spielraum bei der Umsetzung der Bestimmungen der Richtlinie. Es legt fest, dass das Dekret zur Umsetzung von Artikel 17 innerhalb von sechs Monaten nach Veröffentlichung des Gesetzes im Amtsblatt erlassen werden muss. Für alle anderen Bestimmungen der Richtlinie hat die Regierung 12 Monate Zeit, um sie umzusetzen.
Dies ermöglicht es der französischen Regierung theoretisch, auf die Umsetzungsleitlinien der Kommission für Artikel 17 zu warten, bevor sie ihren Durchführungsbeschluss erlässt. Doch das erscheint relativ unwahrscheinlich, da die Regierung wiederholt die Notwendigkeit einer raschen Umsetzung von Artikel 17 betont hat (verbunden mit einer ausdrücklichen Ablehnung von Schlüsselelementen der von der Kommission vorgeschlagenen Umsetzungsleitlinien).
Die Niederlande
In den Niederlanden durchläuft das vorgeschlagene Durchführungsgesetz zur Umsetzung aller Bestimmungen der Richtlinie den üblichen Gesetzgebungsprozess. Nachdem die Regierung das Gesetz im Juni im Parlament eingeführt hatte, äußerte der Rechtsausschuss eine Reihe von Bedenken im Zusammenhang mit der Umsetzung von Artikel 17, in dem wichtige Schutzmaßnahmen für Benutzer*innenrechte fehlten. Als Reaktion darauf schlug das Justizministerium Änderungen vor, die die fehlenden Schutzmaßnahmen ergänzen. Am 17. November 2020 hat die zweite Kammer des niederländischen Parlaments das Durchführungsgesetz mit breiter Mehrheit verabschiedet. Das vorgeschlagene Gesetz liegt nun vor der 1. Kammer (Senat) für eine endgültige Ja- oder Nein-Abstimmung vor, die voraussichtlich Anfang nächsten Jahres stattfinden wird.
Dies eröffnet die Möglichkeit, dass der niederländische Gesetzgeber das Durchführungsgesetz verabschiedet, bevor die Kommission ihre Leitlinien herausgibt. Es ist jedoch anzumerken, dass die niederländische Umsetzung eine Klausel enthält, die es der Regierung ermöglicht, weitere Regeln für die Anwendung der Bestimmungen in Artikel 17 zu erlassen. Das Justizministerium hat klargestellt, dass es beabsichtigt, diese Klausel zur Umsetzung der Leitlinien der Kommission zu verwenden, solange sie dem Schutz der Nutzer*innenrechte dient. Das Justizministerium hat außerdem klargestellt, dass es den Vorschlag der Kommission unterstützt, die Verwendung der automatisierten Filterung auf Situationen zu beschränken, in denen ein Treffer als (das Urheberrecht – die Red.) „wahrscheinlich verletzend“ angesehen werden kann.
Deutschland
In Deutschland hat das vorgeschlagene Durchführungsgesetz das Parlament noch nicht erreicht und ist Gegenstand intensiver öffentlicher Diskussionen. Der jüngste Vorschlag des Justizministeriums (der noch mit den anderen Ministerien koordiniert werden muss) unterscheidet sich stark von den legislativen Vorschlägen, die wir in anderen Mitgliedstaaten gesehen haben. Dies gilt insbesondere für die Umsetzung von Artikel 17.
Aus dem Ausland betrachtet, ist in dem deutschen Umsetzungsvorschlag ein ehrgeiziger Ansatz festzuhalten, der einmal die Rechte der Nutzer*innen schützen soll und gleichzeitig sicherzustellen hat, dass die Urheber*innen für die Nutzung ihrer Werke auf Online-Plattformen vergütet werden. Der jüngste Vorschlag ist zwar alles andere als perfekt und erfüllt eindeutig nicht die Versprechen, die die Bundesregierung in ihrer Protokollerklärung vor dem Rat im April 2019 abgegeben hat. In seiner Struktur hat er jedoch eine bemerkenswerte Ähnlichkeit zu den von der Kommission vorgeschlagenen Leitlinien aufzuweisen.
Aus der Sicht anderer Mitgliedstaaten, die noch über ihren Umsetzungsansatz entscheiden müssen, bietet der deutsche Vorschlag eine Vorlage für die Umsetzung von Artikel 17, um den Schaden für die Rechte der Nutzer*innen zu minimieren und gleichzeitig sicherzustellen, dass die Urheber für die Verwendung ihrer Werke auf Online-Plattformen vergütet werden.
Was sind die nächsten Schritte?
Ein halbes Jahr vor Ablauf der Umsetzungsfrist besteht noch immer eine große Unsicherheit über die Umsetzung und die Auswirkungen dieser DSM-Richtlinie (Binnenmarkt-Richtlinie – die Red.). Während einige der Unsicherheiten erst nach Ablauf der Umsetzungsfrist behoben werden (die Entscheidung des EuGH über die Rechtmäßigkeit von Artikel 17 wird nach Ablauf der Umsetzungsfristen gefällt werden), sollten die nächsten zwei Monate mehr Klarheit bringen:
Die viel zu spät kommenden Umsetzungsleitlinien der Kommission sollten Anfang nächsten Jahres eintreffen, und es erscheint vernünftig, dass die Deutsche Bundesregierung ihr Umsetzungsgesetz auch Anfang nächsten Jahres im Parlament behandeln lassen wird (was hoffentlich zeigt, dass ein an Benutzer*innenrechten orientierte Umsetzung von Artikel 17 möglich ist).
Aus Sicht der Mitgliedstaaten, die ihre eigenen Vorschläge noch nicht vorgelegt haben, erscheint es ratsam, auf die Leitlinien der Kommission zu warten (die wahrscheinlich Mindestkriterien für den Schutz der Benutzer*innenrechte vor automatisierter Filterung enthalten werden), anstatt möglicherweise legislative Vorschläge vorlegen zu müssen, die im Lichte der Richtlinien dann neu geschrieben werden müssten. Wirkliche Klarheit über die ordnungsgemäße Umsetzung wird sich jedoch wohl erst ergeben, wenn die Stellungnahme des Generalanwalts zur polnischen EuGH-Anforderung vorliegt. Leider müssten die Mitgliedstaaten dann auf eine Umsetzung bis Ende April nächsten Jahres warten, was fristgerecht so gut wie unmöglich ist.