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Studie – Paul Keller
Derzeit werden die Ausnahmen für Bildungszwecke nicht in allen EU-Mitgliedstaaten in gleicher Weise angewendet. Dies ist dadurch begründet, dass die bestehende InfoSoc-Richtlinie lediglich die Möglichkeit der Mitgliedstaaten vorsieht, eine urheberrechtliche Ausnahmeregelung oder Beschränkung für Bildungszwecke in ihrem nationalen Recht umzusetzen ( Artikel 5 Absatz 3 Buchstabe a der InfoSoc-Richtlinie). Da dies eine Möglichkeit und keine Verpflichtung ist, gibt es in einigen EU-Mitgliedstaaten überhaupt keine Ausnahmen für Bildungszwecke, wohingegen es in anderen lediglich eng gefasste Ausnahmen gibt, die nicht auf die täglichen Bedürfnisse von Lehrern (denen es z. B. verboten wäre, ein Youtube-Video in der Klasse zu zeigen) und Schülern (die z. B. nicht mehr als einen sehr kurzen Ausschnitt eines Bildes („Snippet“) in ihre Aufgaben einbauen dürften) abgestimmt sind.
Dadurch, dass die bestehenden Ausnahmen für Bildungszwecke von Land zu Land so unterschiedlich sind, besteht eine Rechtsunsicherheit für Lehrer, kommt es zur Ungleichbehandlung von Studierenden und werden digitale und Online-Tätigkeiten sowie
die grenzüberschreitende Zusammenarbeit erheblich eingeschränkt. Mit der DSM-
Richtlinie wird versucht, dieses zersplitterte rechtliche Umfeld zu harmonisieren, indem
die Mitgliedstaaten verpflichtet werden, in ihren Rechtsvorschriften das gleiche
Mindestmaß an Rechten für digitale und grenzüberschreitende Unterrichts- und Lehrtätigkeiten umzusetzen.
In Artikel 5 der Richtlinie werden die Mitgliedstaaten verpflichtet, in ihr nationales Recht eine Ausnahme für Bildungszwecke aufzunehmen, die es Lehrpersonal und Lernenden in Bildungseinrichtungen freistellt, urheberrechtlich geschütztes Material für digitale und grenzüberschreitende Unterrichts- und Lehrtätigkeiten zu verwenden.
Diese verbindliche Ausnahme für Bildungszwecke ermöglicht es Pädagogen und Lernenden im Bereich der formalen Bildung für bestimmte Zwecke (z. B. Scannen, Uploads, Streaming) urheberrechtlich geschützte Materialien (z. B. Bilder, Text, Video) zu nutzen, ohne die Rechteinhaber zuvor um Genehmigung zu bitten, sofern sie die in Artikel 5 festgelegten Bedingungen einhalten.
Bedauerlicherweise enthält Artikel 5 auch drei fakultative Bestimmungen, die es den Mitgliedstaaten gestatten, den durch die Ausnahme geschaffenen Nutzen über ihre Umsetzung auf nationaler Ebene zu begrenzen.
- Erwägung 21 könnte zur Zersplitterung der Ausnahmeregelung in der EU führen, da vorgesehen ist, dass jedes Land festlegen kann, in welchem Umfang ein bestimmter Inhalt verwendet werden darf (z. B. 5 % eines Lehrbuchs oder Videos in Land A, 15 % eines Lehrbuchs oder Videos in Land B) und
- Artikel 5 Absatz 2 sieht vor, dass die Mitgliedstaaten das Recht von Pädagogen und Lernenden zur Nutzung eines bestimmten Inhalts im Rahmen der Ausnahme aufheben können, sobald die Urheberrechteinhaber mit dem Verkauf von Lizenzen für diese Inhalte beginnen.
- Artikel 5 Absatz 4 sieht vor, dass die Mitgliedstaaten für Nutzungen im Rahmen der Ausnahme einen „gerechten Ausgleich für die jeweiligen Rechteinhaber vorsehen“ können.
Infolgedessen lässt Artikel 5 den Mitgliedstaaten viel Spielraum bei der Umsetzung der Ausnahme. Aus Sicht von Bildungseinrichtungen wäre eine vollständige Umsetzung, bei der von keiner der oben genannten nachteiligen Optionen Gebrauch gemacht wird, das minimal akzeptable Umsetzungsszenario. Mitgliedstaaten, die einen größtmöglichen Spielraum für die Nutzung urheberrechtlich geschützter Werke für Bildungszwecke einräumen möchten, sollten auch erwägen, den politischen Spielraum vollständig zu nutzen, den die bestehende Ausnahme für Bildungszwecke der Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr bietet.
Keine Aufhebung durch Lizenzvergabe
Artikel 5 Absatz 2 räumt den Mitgliedstaaten die Möglichkeit ein, die Ausnahme so umzusetzen, dass sie nicht gilt, wenn auf dem Markt geeignete Lizenzen verfügbar sind, die die Nutzungen zulassen, die auch im Rahmen der Lizenz vorgesehen sind. Dies würde dazu führen, dass Rechteinhaber die Ausnahme aufheben können, indem sie Bildungseinrichtungen Lizenzen anbieten. Das bedeutet, dass Lehrern oder Studierenden die Möglichkeit zur Nutzung der Ausnahme durch einseitige Maßnahmen von Rechteinhabern genommen und die Wirksamkeit der Ausnahme dadurch zunichte gemacht wird. Den Nutzern wird im Rahmen der Ausnahme das Recht verweigert, Nutzungen in Anspruch zu nehmen, sie wären gezwungen, Lizenzen für diese Nutzungen zu erwerben. Die Lizenzen würden möglicherweise nicht ausgehandelt und könnten nachteilige Folgen für Bildungseinrichtungen im Hinblick auf zusätzliche Kosten, zusätzlichen Verwaltungsaufwand, Überwachung oder Unsicherheit bei den mit der Lizenz verbundenen Bedingungen haben. Angesichts dessen muss es Vorrang haben, dass alle Mitgliedstaaten auf die Anwendung der Option einer Aufhebung durch Lizenzvergabe in ihrem nationalen Recht verzichten. Dies ist nicht nur im Rahmen von Bildungstätigkeiten wichtig, die durch die Lizenz abgedeckt sind, sondern auch im Hinblick auf das Urheberrechtssystem insgesamt. Die Rechte der Nutzer sollten nicht von kommerziellen Erwägungen der Rechteinhaber abhängen; das mit Artikel 5 Absatz 2 eingeführte Verfahren der Aufhebung durch Lizenzvergabe schafft hier einen sehr gefährlichen Präzedenzfall.
Keine quantitativen Beschränkungen
In der Regel gestattet eine Ausnahme für Bildungszwecke nur die Verwendung von Teilen von Werken, handelt es sich aber um ein Bild oder ein kurzes Gedicht, kann es in seiner Gesamtheit verwendet werden. Aus Sicht der Bildungseinrichtungen ist es wichtig, dass die Definition eines Rechts durch die Praxis (oder bei Streitigkeiten durch Gerichtsurteile) bestimmt wird. Der in der InfoSoc-Richtlinie vorgesehene Dreistufentest ermöglicht die Flexibilität, die Nutzer in der jeweiligen Situation benötigen, und schützt gleichzeitig die Interessen der Urheberrechteinhaber. Die Festlegung von Prozentsätzen (z. B. 15 % eines Buchs) bei der nationalen Umsetzung führt zu ungerechten Bedingungen. Beschließen die Mitgliedstaaten, von dieser Option Gebrauch zu machen, und legt jeder Mitgliedstaat unterschiedliche Prozentsätze fest, besteht darüber hinaus die große Gefahr, dass es letztlich unterschiedliche Regelungen in den einzelnen Mitgliedstaaten gibt und das gleiche bruchstückhafte Umfeld entsteht, das derzeit Online- und grenzüberschreitende Bildungsangebote in der EU verhindert.
Keine Ausgleichsleistung
Eine Ausnahme ist kein Freibrief, urheberrechtlich geschützte Inhalte in einer Weise zu nutzen, durch die den Urheberrechteinhabern ein nicht gerechtfertigter Schaden entsteht. Bei der allgemeinen Nutzung im Rahmen der Ausnahme für Bildungszwecke entsteht ein minimaler oder kein Schaden, daher ist die Begründung für die Ausgleichsleistung relativ schwach. Dies kommt darin zum Ausdruck, dass derzeit 18 Mitgliedstaaten über Ausnahmen für Bildungszwecke verfügen, die nicht oder größtenteils nicht vergütet werden. Es ist äußerst wichtig, dass die Mitgliedstaaten die neuen Nutzungen weiterhin kostenlos gestatten. Für Länder, in denen die bestehenden Ausnahmen für Bildungszwecke einer Ausgleichsleistung unterliegen und in denen der politische Wille fehlt, bei den neuen Ausnahmen auf Ausgleichsleistungen zu verzichten, wird es wichtig sein, den Verwaltungsaufwand dieser Ausgleichsregelungen zu minimieren. Dies bedeutet, dass sie pauschal und nicht pro Nutzung ausgehandelt und kollektiv verwaltet werden sollten. In allen Szenarios ist es von größter Bedeutung, dass die Urheberrechteinhaber weiterhin kostenlose Lizenzen (wie die Creative-Commons-Lizenzen) vergeben können, die ein wichtiger Bestandteil bei der zunehmenden Nutzung frei zugänglicher Lehr- und Lernmaterialien in Lernumgebungen durch Bildungseinrichtungen in der gesamten EU sind.
Umsetzungsperspektive
Aufgrund des Bestehens dieser drei fakultativen Elemente in Artikel 5 dürfte dieser Artikel sehr wahrscheinlich Gegenstand intensiver Beratungen und Lobbytätigkeiten während der Umsetzung in den Mitgliedstaaten sein. Artikel 5 gewährt den Mitgliedstaaten den größten Handlungsspielraum aller Bestimmungen, die mit der DSM-Richtlinie eingeführt wurden. Dies ist teilweise darauf zurückzuführen, dass sich die Vorgehensweisen im Zusammenhang mit der Nutzung urheberrechtlich geschützter Inhalte in Bildungseinrichtungen zwischen den Mitgliedstaaten stark unterscheiden. Im besten Falle werden die fakultativen Elemente in Artikel 5 genutzt, um die neue Ausnahme auf die bestehenden nationalen Verfahrensweisen abzustimmen. Im schlechtesten Fall werden sie genutzt, um die Stellung von Bildungseinrichtungen zugunsten der Rechteinhaber zu schwächen. Angesichts der grundlegenden Bedeutung von Bildung für unsere Gesellschaften muss sichergestellt werden, dass dies nicht geschieht. Dieses Ziel wird am besten erreicht, indem es den Interessenträgern aus dem Bildungsbereich ermöglicht wird, sich bei den nationalen Umsetzungsprozessen Gehör zu verschaffen, indem die nationalen politischen Akteure diesem Aspekt bei den nationalen Umsetzungsprozessen große Aufmerksamkeit schenken und das Europäisches Parlament die Umsetzung der Ausnahme für Bildungszwecke in allen Mitgliedstaaten genau überwacht. [1]Zum Zeitpunkt der Abfassung dieses Berichts waren die Niederlande der einzige Mitgliedstaat, in dem ein Vorschlag für ein Umsetzungsgesetz vorlag. Bei dem vorgeschlagenen Gesetz werden die genannten … Continue reading
Fußnoten
↑1 | Zum Zeitpunkt der Abfassung dieses Berichts waren die Niederlande der einzige Mitgliedstaat, in dem ein Vorschlag für ein Umsetzungsgesetz vorlag. Bei dem vorgeschlagenen Gesetz werden die genannten drei problematischen Optionen nicht verwendet; vorgesehen ist, die neue Ausnahme als Ausweitung des Geltungsbereichs der bestehenden Ausnahme umzusetzen. Damit legen die Niederlande ein Modell vor, das andere Mitgliedstaaten so weit wie möglich übernehmen sollten. |