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Autoren: Petra Sitte, Simon Weiß
Unabhängig von der DSM-Richtlinie ist die letzte größere Änderung des deutschen Urheberrechts 2018 in Kraft getreten – das Gesetz zur Angleichung des Urheberrechts an die aktuellen Erfordernisse der Wissensgesellschaft, kurz „Urheberrechts-Wissensgesellschafts-Gesetz“ (UrhWissG).
Damit sind deutlich klarere und umfassendere Regeln zur Nutzung urheberrechtlich geschützter Werke für die Zwecke von Bildung und Wissenschaft geschaffen worden, als es sie bislang gab. Das war ein überfälliger Schritt nach vorn, auch wenn sich am Ende leider an einigen Stellen Partikularinteressen gegen die Bedürfnisse von Schulen, Hochschulen, Bibliotheken und Archiven durchgesetzt haben. Die DSM-Richtlinie wird keine sehr weitgehenden Änderungen dieser Regeln erfordern – da aber auch sie von der Umsetzung teilweise betroffen sind, rechnen wir damit, dass die 2017 geführten Debatten und Kämpfe wieder aufleben werden. Es lohnt sich also, einige Teile des UrhWissG noch einmal näher anzuschauen.
Von großer Bedeutung ist dabei die Befristungsregel im UrhWissG. Die Koalition hatte sich damals entschieden, nicht nur die neu eingeführten Regeln zu befristen, sondern die kompletten Bestimmungen zur Nutzung für Bildung und Wissenschaft, auch die schon seit langer Zeit gültigen, bis 2023 auslaufen zu lassen. Das heißt, nach derzeitigem Recht wäre ab März 2023 keine Nutzung urheberrechtlich geschützter Materialen beispielsweise im Schulunterricht oder im Rahmen der universitären Forschung mehr möglich, wenn dafür nicht im Einzelnen Lizenzvereinbarungen geschlossen werden. Auch Archive und Bibliotheken wären erheblich in ihrer Arbeit gehindert. Das führt zu erheblicher Unsicherheit, insbesondere was die langfristige Planung angeht.
Diese Befristung wurde damals erst in letzter Minute im Gesetzgebungsprozess eingeführt. Sie war Teil eines ganzen Bündels von Abschwächungen des ursprünglichen Gesetzesentwurf, mit dem CDU/CSU und SPD vor dem erheblichen Druck einer Lobbykampagne aus Teilen der Verlagsbranche eingeknickt sind. Vermutlich war die Hoffnung, bei einer zukünftigen Entscheidung über die Fristverlängerung, die möglicherweise unter Zeitdruck stattfinden würde, weitere Zugeständnisse zu erhalten.
Allerdings wird die Befristung mit Artikel 5 der DSM-Richtlinie so nicht mehr zu machen sein. Denn dieser enthält erstmals verpflichtende Regelungen zur Nutzung für Bildung und Wissenschaft. Auch, wenn diese höchstens punktuell über das hinausgehen, was in Deutschland bereits gilt: Der durch de Befristung drohende Zustand, gar keine Regelungen für den Bildungs- und Wissenschaftsbereich zu haben, wäre mit der Richtlinie nicht mehr vereinbar. Auch vor diesem Hintergrund hat die Linksfraktion im Bundestag bereits im Oktober einen Antrag eingebracht, der die Aufhebung der Befristung fordert. Ob die Bundesregierung das zeitnah aufgreifen wird oder weitere Unsicherheit in Kauf nimmt, ist aber noch unklar.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Frage der Ausnahmen für bestimmte Inhalte von der Nutzungserlaubnis. Eine solche Ausnahme gibt es im UrhWissG für Schulbücher; bei der Beratung haben die Wissenschaftsverlage vergeblich dafür lobbyiert, sie auch auf Lehrbücher auszuweiten, obwohl diese unter sehr anderen Bedingungen geschrieben und genutzt werden. Die DSM-Richtlinie erlaubt solche Ausnahmen dann, wenn für entsprechende Inhalte auch tatsächlich geeignete Lizenzen verfügbar sind. Die Regelung im UrhWissG zu Schulbüchern wird um diese Bedingung ergänzt werden müssen. Es ist damit zu rechnen, dass in diesem Zug auch die Debatte über eine Ausweitung der Ausnahme auf Lehrbücher noch einmal eröffnet wird.
Wünschenswert, wenn auch nicht unbedingt wahrscheinlich, wäre es, wenn bei der Umsetzung der Richtlinie auch einige der Einschränkungen auf den Prüfstand kämen, die in letzter Sekunde ins UrhWissG aufgenommen wurden. Dazu gehören die engen Prozentgrenzen, in denen die Nutzung von Werkteilen zulässig ist (10 Prozent, wobei im ursprünglichen Entwurf noch 25 vorgesehen waren) und eine wenig nachvollziehbare Regelung, die die Nutzung von Zeitungsartikeln unmöglich macht. In jedem Fall sollte dies Gegenstand der gesetzlich vorgeschriebenen Evaluierung des UrhWissG sein, die bis März 2022 vorliegen muss.