This post is available in English.
Hintergrund I
Günther Oettinger legte den Entwurf für eine RICHTLINIE DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES über das Urheberrecht im digitalen Binnenmarkt am 14. September 2016 vor. [1]https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:52016PC0593&from=DE Diese Richtlinie ergänzt die seit 2001 geltende Urheberrechtsrichtlinie [2]https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32001L0029&from=DE, bekannt als InfoSoc 2001.
Die öffentliche Debatte und Kritik auf die überarbeitete Richtlinie bezog sich zu Beginn auf Artikel 15 (vorher 11) – das Leistungsschutzrecht für Presseverleger, später mehr noch auf Artikel 17 (vorher 13). Letztere, die Kritik an Artikel 17 (zuvor 13) wurde bekannt unter dem Stichwort „Uploadfilter“, die eine automatische Inhaltserkennung von urheberrechtlich geschütztem Material leisten sollen, um den „value gap“, die Umsatzlücke der Kreativbranche im Netz zu schließen.
Unsere Auffassung gegen den verbindlichen und flächendeckenden Einsatz von automatischen Erkennungssystemen, wie Uploadfilter, um Urheberrechtsverstöße aufzudecken, ergibt sich aus folgenden Überlegungen:
- Uploadfilter sind nicht nur fehleranfällig, sie sind vor allem nicht in der Lage,
- den Kontext der Nutzung des urheberrechtlichen Materials zu erschließen. Denn es gibt auch legale Nutzungsarten von urheberrechtlich geschütztem Material jenseits erworbener Nutzungslizenzen. Die bekannteste Nutzung ist das Zitat im Journalismus, der Wissenschaft und der Bildung. Hier werden Teile von urheberrechtlichem Material zitiert, um Meinungen, Positionen in der öffentlichen Kommunikation zu erarbeiten. Es gibt auch die künstlerische Nutzung von urheberrechtlich geschütztem Material, z. B. beim Parodie, einer Collage o. ä. Und es gibt auch Einsatzarten, in denen genutztes urheberrechtlich geschütztes Material gänzlich unerheblich ist für die eigene Veröffentlichung, zum Beispiel beim Upload eines Videos einer Demonstration, wie Musik ein Hintergrundgeräusch ist. All solche erlaubten Nutzungsarten können Uploadfilter nicht fehlerfrei unterscheiden, weil sie den Kontext nicht erfassen.
- gibt es verschachtelte Nutzungsarten und auch dies können Uploadfilter nicht erkennen, z. B. eine TV-Sendung nutzt einen cc-lizensierten Song korrekt, lizenziert jedoch danach die ganze eigene Sendung. In diesem Falle ist es schon mehrfach passiert, dass die eigentliche Urheber*innen ihren eigenen Song nicht mehr nutzen konnten und unberechtigter Weise geblockt wurden. der bekannteste Fall in Deutschland war hier ein Kampagnensong der feministischen Initiative Pinkstinks [3]https://www.spiegel.de/netzwelt/web/pinkstinks-video-gegen-gntm-gesperrt-ein-vorgeschmack-auf-die-upload-filter-a-1197172.html, die, weil RTL ihren frei verfügbaren Song in einer Sendung nutzte, ihn dann selbst nicht mehr nutzen konnte, da nur die Einbindung in lizensierte die RTL-Sendung erkannt wurde. Jeder Streitbelegungs-Mechanismus ist dann zu langsam, wenn eine Kampagne in einem bestimmten Zeitfenster aus solchen Gründen nicht starten kann. Selbst wenn man später Recht bekommt, ist die Entscheidung dann zu spät und die Meinungsfreiheit wurde unterdrückt.
Fatale Fehlentscheidungen hatte Julia Reda hier zusammengefasst.
Der Berichterstatter im Europäischen Parlament für die Erarbeitung der revidierten EU-Urheberrechtsreform hieß Axel Voss (CDU). Zu den Gegner*innen der Reform sagte er kurz vor den Abstimmungen im Europaparlament: „Diese schöne Fake-News-Kampagne mit diesen Schlagworten wie Zensurmaschine oder Upload-Filter, wo jeder irgendwie aufspringt, ohne sich überhaupt mal Gedanken dadrüber gemacht zu haben, welche Systematik wir hier zugrunde legen … Was wir jetzt hier versuchen, ist, die Erkennungssoftware von urheberrechtlich geschützten Werken irgendwie zugrunde zu legen.“
Die Antwort kam u. a. von Sascha Lobo: „Das ist so, als würde man sagen: Komm bitte in 8 Stunden von Frankfurt nach New York. Du musst aber nicht den Flieger benutzen.“
Das Europaparlament forderte im Juni 2018 die Einzelabstimmung, beschloss dann jedoch die Verhandlungsposition mit den umstrittenen Artikeln 15 (11 – Leistungsschutzrecht) und 17 (13 – Uploadfilter) im Sept. 2018.
Die Regierungen der EU-Mitgliedstaaten haben die Positionen des Europaparlaments bestätigt. Dabei haben sie aber u. a. die Ausnahmen für Kleine und Mittlere Unternehmen (KMU) vom Artikel 17 auf betreiben von Frankreich wieder herausgenommen. Das bedeutet, dass nun alle Betreiber, kleine Hausaufgaben-Portale genauso wie große Videosharingplattformen, Uploadfilter nutzen sollen, wenn sie keine Lizenzverträge, was sich viele nicht leisten können, abschließen. Auch wurde die Stärkung der Rechte der Kreativen gegenüber Verwertungsgesellschaften, die eigentlich für sie gegenüber Medien handeln sollen (Artikel 18 – Vertragstransparenz) wieder abgeschwächt. Auch dies ging auf einen Deal zwischen Frankreich und Deutschland im Rat zurück.
Ein einziges Mal erfuhr die Öffentlichkeit über diese Verhandlungen zwischen den Mitgliedstaaten, einen Tag vor der endgültigen Abstimmung im Parlament am 25.3.2019. Der investigative Vorstoß kam erstaunlicherweise von der FAZ, obwohl sie in den Wochen zuvor, wie viele andere Presseverlage europaweit, den Grad zwischen redaktionellem Kommentar und Lobbying vor allem für die Durchsetzung des Leistungsschutzrechtes für Presseverleger (Artikel 15 vorher 11) längst verwischt hatten. Leider erfolgte keine Weiterbearbeitung der Hintergründe des Deals, dass Frankreich für eine Akzeptanz des von Deutschland forcierten Nordstream 2 die fast flächendeckende Uploadfilterpflicht bekam.
Das Trilog-Ergebnis zwischen den Institutionen, das nach der Abstimmung zwischen der EU-Kommission, dem Europäischen Rat und dem Europaparlament dem Europaparlament nochmals vorgelegt wurde, wurde ohne Abstimmung von Änderungsanträgen angenommen. Details und ein zusammenfassender Kommentar zu dieser Schlussabstimmung sind in Martina Michels Pressemeldung hier zu finden, das dann angenommene Dokument hier.
Kurz vor der Abstimmung am 23.3.2019 gab es europaweite Demonstrationen mit 200.000 Teilnehmer*innen [4]https://savetheinternet.info, sowie die Übergaben der Petition gegen diese Reform, die mit 5 Millionen Unterschriften als die größte Petition innerhalb der EU gilt.
Diese Abstimmung hatte ein ungewöhnliches Nachspiel: Am 15. April 2019 wurde im Rat der Europäischen Union die EU-Urheberrechtsreform innerhalb einer Sitzung der Agrarmininster*innen durch das JA Deutschlands plus einer Protokollerklärung angenommen, weil dadurch über 71 % der EU-Bevölkerung repräsentiert waren. In der Abstimmung ließ sich jedoch auch die Agrarministerin Julia Klöckner (CDU) vertreten. Verantwortlich für die Zustimmung Deutschlands war auf ministerialer Ebene die Justizministerin und damalige Spitzenkandidatin der SPD für das Europaparlament, Katarina Barley.
Fußnoten